Urteil
/ 13. Februar 2024

So können Beschäftigte von ihrem Beschwerderecht Gebrauch machen

Der § 84 BetrVG ist mit „Beschwerderecht“ überschrieben, weil er jedem Arbeitnehmer das Recht einräumt, sich im Betrieb über eine Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigung vonseiten des Arbeitgebers, eines Vorgesetzten oder eines Kollegen zu beschweren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Angelegenheit zu überprüfen und muss – sofern er die Beschwerde für berechtigt hält – den aufgezeigten Missstand beseitigen.

Gegenstand einer Beschwerde: Darüber können sich Arbeitnehmer beschweren

Als Gegenstand einer Beschwerde nach § 84 BetrVG kommen alle denkbaren tatsächlichen oder rechtlichen Beeinträchtigungen in Betracht, die ein Beschäftigter im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis erleben oder empfinden kann. Dabei kann es sich um eine individuelle Benachteiligung, eine ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigungen handeln. Die Beschwerde kann sich auf Zustände in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft beziehen. Sie zielt darauf ab, von Arbeitnehmern negativ bewertete Zustände zu beseitigen.

Das Beschwerderecht aus § 84 BetrVG umfasst keine Beschwerde über die Amtstätigkeit des Betriebsrats oder seiner Mitglieder. Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der explizit „vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern“ spricht. Zudem hätte der Arbeitgeber in einem solchen Fall keine Einwirkungsmöglichkeit und könnte somit auch nicht für Abhilfe sorgen.

Beschwerdeführer muss selbst betroffen sein

Voraussetzung für eine Beschwerde nach § 84 BetrVG ist, dass sich der beschwerdeführende Arbeitnehmer selbst ungerecht behandelt, benachteiligt oder ins sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. D. h., ein Arbeitnehmer kann sich im Zuge einer Beschwerde nicht zum Anwalt anderer Arbeitnehmer machen. In welcher Angelegenheit sich der Arbeitnehmer beeinträchtigt fühlt, spielt dabei keine Rolle. Als Gegenstand einer Beschwerde kommen Rechtsansprüche, Anweisungen des Arbeitgebers, von Kollegen ausgehende Beeinträchtigungen sowie vom Arbeitgeber getroffene Regelungen in Betracht. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde den“ zuständigen Stellen“ des Betriebes gegenüber vorzubringen. Dieses Vorbringen ist an keine besondere Form oder Frist gebunden. Zur Unterstützung oder Vermittlung kann der Beschwerdeführer ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.

Der Beschwerdeführer entscheidet, welches Betriebsratsmitglied er hinzuzieht. Es ist dem Betriebsrat verwehrt, durch Beschluss festzulegen, welches seiner Mitglieder diese Aufgabe übernehmen soll. Das hinzugezogene Betriebsratsmitglied unterliegt zwar keiner besonderen Schweigepflicht, darf jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers nicht verletzen und ihm bekannt werdende persönliche Fakten, die nicht allgemein bekannt sind, nicht an Dritte, insbesondere den Arbeitgeber, weitergeben.

Zuständige Stelle: Betriebspartner können besondere Beschwerdestelle einrichten

Arbeitnehmer können sich bei den „zuständigen Stellen“ beschweren. Wer die „zuständige Stelle“ ist, folgt aus dem jeweiligen Organisationsaufbau des Betriebes. In der Regel ist der unmittelbare Vorgesetzte der erste Ansprechpartner für den Beschwerdeführer. Ignoriert der Vorgesetzte die Beschwerde, bleibt untätig oder ist diese gegen ihn selbst gerichtet, kann sich der Arbeitnehmer an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden und gegebenenfalls den gesamten „Instanzenweg“ bis hin zur Geschäftsleitung beschreiten.

Beschwerdeführer hat Recht auf Auskunft über Berechtigung der Beschwerde

Nachdem der Beschwerdeführer sein Anliegen vorgetragen hat, obliegt es dem Arbeitgeber, die Berechtigung der Beschwerde zu überprüfen. Nach erfolgter Prüfung muss er dem Beschwerdeführer das Ergebnis mitteilen, denn dieser hat Anspruch auf einen Bescheid, mit dem ihm mitgeteilt wird, ob der Arbeitgeber die Beschwerde für berechtigt hält oder nicht. Der Bescheid ist an keine besondere Form gebunden, d. h. er kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Lehnt der Arbeitgeber die Beschwerde ab, muss er dies begründen. Benötigt der Arbeitgeber für die Überprüfung der Beschwerde einen längeren Zeitraum, so hat er dem Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Frist einen Zwischenbescheid zu erteilen. Hält der Arbeitgeber die Beschwerde für unbegründet, sollte sich der Arbeitnehmer überlegen, ob er die Beschwerde durch Einleitung des „kollektiven Beschwerdeverfahrens“ nach § 85 BetrVG weiterführt. Es ist auch möglich, beide Verfahrenswege kumulativ zu beschreiten, weil sie einander nicht ausschließen.

Die Betriebsparteien können gemäß § 86 BetrVG (z. B. auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung) eine speziell zuständige Beschwerdestelle einrichten und ein spezielles Beschwerdeverfahren ausgestalten.

Arbeitgeber muss berechtigter Beschwerde abhelfen

Hält der Arbeitgeber die Beschwerde für berechtigt, muss er ihr abhelfen, indem er den Beschwerdegrund durch das Ergreifen geeigneter Maßnahmen beseitigt. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, kann der Arbeitnehmer den Rechtsweg beschreiten und vor dem Arbeitsgericht auf Abhilfe klagen.

Beschwerdeführer dürfen nicht benachteiligt werden

Wer eine Beschwerde erhebt, darf deshalb nicht benachteiligt werden. So steht es ausdrücklich in § 84 Abs. 3 BetrVG. Das Benachteiligungsverbot gilt auch für den Fall, dass sich die Beschwerde nach erfolgter Prüfung als unbegründet herausstellt. Gegen das Benachteiligungsverbot verstoßende Maßnahmen des Arbeitgebers sind unwirksam und lösen unter Umständen Schadenersatzansprüche des Beschwerdeführers aus. Dennoch verzichten Arbeitnehmer häufig darauf, z. B. berechtigte Beschwerden gegen unzureichende Arbeitsbedingungen zu erheben, weil sie – nicht selten zu Recht – Nachteile für sich und ihr berufliches Fortkommen befürchten. In einem solchen Fall ist der Betriebsrat dazu angehalten, zu überprüfen, ob es sinnvoll ist, selbst aktiv zu werden und das kollektive Beschwerdeverfahren nach § 85 BetrVG einzuleiten. Schließlich sind auch Betriebsratsmitglieder Arbeitnehmer und dementsprechend befugt, Beschwerde einzulegen, sofern sie selbst betroffen sind.

Praxistipp
Die Checkliste „Beispiele für Beschwerdegegenstände im Sinne von § 84 BetrVG“